Der altehrwürdige Begriff der Seele als eines vom Körper unabhängigen Wesens, dessen Heimat das Jenseits war, wie er in der christlichen Religion, in der Metaphysik und im Volksglauben gegolten hat, ist in der Moderne unhaltbar geworden, weshalb Friedrich Albert Lange schon 1866 dazu aufrief, aus dieser Erkenntnis für die Psychologie auch die Konsequenz zu ziehen und sich anstelle der traditionellen psychologia rationalis mutig zu einer „Psychologie ohne Seele“ zu bekennen.
In der Tat haben alle heutigen (akademischen wie tiefenpsychologischen) Psychologien anstelle der Seele die Psyche zu ihrem geschichtlich neuen und empirisch-positivistisch zu erforschenden Gegenstand – mit einer Ausnahme, der Psychologie C.G. Jungs. Gegen Lange bestand Jung ausdrücklich auf „einer ‚Psychologie mit Seele‘, das heißt einer Seelenlehre, die auf der Annahme eines autonomen Geistes gegründet wäre“. Das ist Jungs Alleinstellungsmerkmal. Zwar ist damit die Psychologie wieder zu einer solchen geworden, die ihren eigentlichen Namen, der „Lehre von der Seele“ bedeutet, verdient, aber zugleich ist sie auch mit dem ernsten Problem belastet, wie das Festhalten am Seelenbegriff unter den Bedingungen der Moderne möglich sein soll. Denn daß ein Zurück zum religiösen, metaphysischen Begriff ausgeschlossen ist, steht außer Frage.
Eine Psychologie mit Seele ist nur möglich, wenn ein im Einklang mit dem Übergang in die Logik der Moderne verwandelter, nämlich im doppelten Sinn „aufgehobener“ Seelenbegriff zugrundegelegt wird. Das vorliegende Buch versucht diesen Begriff herzuleiten und im einzelnen nach vielen Seiten hin, besonders auch im Hinblick auf die Phänomenologie der Seele, zu entwickeln. Es ist die stark erweiterte und überarbeitete deutsche Fassung des 2012 zuerst in englisch erschienenen Buches What is Soul?
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